[responsivevoice_button voice=“Deutsch Female“ buttontext=“Beitrag anhören“]
Meine Damen und Herren, Extremisten, Internationaler Terror, der Brexit, ein neuer unberechenbarer amerikanischer Präsident – alle diese Dinge prägten das letzte Jahr – prägen unsere Zeit. Doch all dies kann eine gut funktionierende Gesellschaft nicht in ihren Grundzügen erschüttern, sie kann es auffangen, mit Zusammenhalt dagegen angehen – ABER: Es geht ein Riss durch unsere Gesellschaft – ganze Teile fühlen sich von ihr verlassen, von unserer Demokratie enttäuscht – fühlen sich dem Gemeinwesen nicht mehr verpflichtet. Blicken wir nur knapp über 25 Jahre zurück, war der Blick auf Wörter wie Demokratie, Europa doch so positiv besetzt. Nach dem Ende des kalten Krieges feierten wir, feierte Europa eine neue Zeit.
Was ist falsch gelaufen, dass ganze Teile unserer Bevölkerung diese Begriffe – Demokratie, Europa – nur noch mit Hohn aussprechen und viele den Rückschritt zum puren Nationalstaat fordern! Was ist falsch gelaufen, dass unsere führenden Volksvertreter beim Tag der Deutschen Einheit unter besonderen Personenschutz gestellt werden müssen und sich nicht frei im freien Volk bewegen können? Was läuft falsch, wenn Vertreter der Ausführung unseres Staates – Polizei- und Verwaltungsbeamte, Feuerwehrkameraden und Lehrer – von ganzen Bevölkerungsgruppen fast feindlich behandelt werden? Wir haben den Draht zu Teilen der Bevölkerung verloren und es ist müßig darüber zu spekulieren, ob sich einige jetzt nur trauen zu sagen und zu tun, was immer schon in ihnen schlummerte. Aber wenn in einer Demokratie dem Staat große Teile der Bevölkerung abhanden gehen und vielleicht stumpfen Populisten hinterherlaufen, dann ist sie in Gefahr! Nach 70 Jahren Bundesrepublik Deutschland sehen ganze Teile unserer Gesellschaft diesen Staat als negativ und überholt an. Große Teile haben das Gefühl nicht dazu zu gehören, bei Entscheidungen nicht berücksichtigt zu werden – in unserer Gesellschaft zu verlieren. Sie haben Angst aus dem Wohlstand zu fallen und dann ins soziale Aus zu rutschen. Sie haben Angst! Und wenn der Landesverband der Tafeln rückblickend aufs letzte Jahr berichtet, dass die Nachfrage um ein Drittel gestiegen ist, dann hat diese Angst scheinbar auch einen realistischen Hintergrund!
Der Nobelpreisträger für Wirtschaft Joseph Stiglitz sieht die Vorgänge in der Eurozone als moralisches Lehrstück: „Sie verdeutlichen, dass Regierungen, die den Draht zu ihren Wählern verloren haben, mitunter Systeme ausdenken, die nicht dem Wohl ihrer Bürger dienen. Sie zeigen, dass sich …oftmals Finanzinteressen durchsetze2)n…, sofern ihnen kein Einhalt geboten wird, (die) ökonomische Strukturen hervorbringen können, von denen einige wenige profitieren mögen, während sie breite Bevölkerungsgruppen hohe Risiken aussetzt. Daher fühlen sich viele Verraten und Verkauft – Wirtschaftswachstum macht Reiche immer reicher und Arme immer Ärmer – immer mehr Menschen fallen aus der sogenannten Mittelschicht. Der Dax, das Bruttoinlandsprodukt sagt – selbst bei positiven Verläufen- nichts über die Verbesserung von Lebensverhältnissen für die mittleren und unteren Schichten aus. Was nutzt eine hohe Beschäftigungsquote, wenn ganze Teile der Bevölkerung mehrere Jobs haben müssen, um sich zu ernähren – wenn der Index des Reallohns seit fast 10 Jahren hinter dem des Verbraucherpreises liegt?
Unsere Marktwirtschaft wurde in den letzten 25 Jahren immer intensiver durch einen perfiden und perversen Neoliberalismus4) geprägt: Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, Sozialstaatabbau, Deregulierung der Märkte, Privatisierung und Akzeptanz wachsender gesellschaftlicher Ungleichheit. Wer an diese Dinge – wie die Selbstregulierung des Marktes – im Jahre 2017 immer noch glaubt, an dem sind die New-Economy –Blase zu Beginn des Jahrtausends und der Bankenchrash 2008 absolut verbeigegangen – aber solche Dinge hört man noch immer – auch in der Stadt Willich! „Die jeweiligen Einschnitte wurden stets als notwendig, unausweichlich oder alternativlos präsentiert. Vor allem das letzte Attribut kam derart oft und penetrant zum Einsatz, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache „alternativlos“ zum Unwort des Jahres 2010 erklärte.“ Und dann wundern wir uns, dass ganzen Teilen dieser Gesellschaft die Identifikation mit diesem Staat fehlt? Aber was hat dies mit der Stadt Willich zu tun? Wenn Reiche immer reicher werden und die mittleren und unteren Schichten immer weniger haben? Im Haushalt 2017 sind die zu erwartenden Steuereinnahmen aus privaten Haushalten erstmals höher als die aus dem Gewerbe. D.h., dass die Stadt Willich zum größten Teil von den ganz normalen Bürgern getragen wird. Wie kommt es zu den scheinbar geringen Steuereinahmen im Gewerbe? Da kommt ein wichtiges Detail dazu, das für die Bürger und Bürgerinnen nicht nachvollziehbar ist: Ganze Teile der größten Unternehmer, Firmen, Verdiener in dieser Stadt sehen keine Verpflichtungen – so wie der normale Steuerzahler oder der Gewerbemittelstand – wie Sie und ich – seine Steuern hier zu bezahlen! Durch zusätzliche Standorte, an scheinbar steuergünstigeren Orten, legt man einfach fest, dort und nicht hier seine Steuern zu bezahlen!
Da kann man sagen: „Die haben doch auch gar nicht die rechtliche Verpflichtung hier zu zahlen!“ Oder man kann es für ökonomisch gewitzt halten! Aber moralisch ist es verwerflich und es schwebt der Moment der Ungerechtigkeit dort mit, wenn man Infrastruktur- und Standortvorteile mitnimmt, sich aber nicht an den Kosten der Allgemeinheit beteiligt! Wenn man sich durch Finanzkraft Steuervorteil verschafft, die der normale Bürger und der Gewerbemittelstand sich nicht leisten können! D.h. das dort jemand denkt: Das schnelle Internet, die guten Infrastruktur und Lage der Stadt Willich, etc. nehmen ich gerne, aber die Schulen, die Kindergärten, Straßenbeleuchtung, die Verwaltung zahle ich nicht mit! Ein solches Denken wird von der Bevölkerung als ungerecht empfunden. Ein solches Denken gefährdet unsere Demokratie – vor allem, wenn wir als Volksvertreter dies sang- und klanglos einfach annehmen, darüber hinweggehen – solche Menschen gar von manchen Politikern hofiert werden! Wer so handelt verdient keine Auszeichnungen, wer so handelt, der muss deutlich benannt werden, dass er seiner Verantwortung in unserer Stadt, nicht nachkommt.
Da kann man dann sagen: Das liegt an der Gesetzgebung in Europa und auf Bundesebene oder was erwarten Sie auch moralisches Handeln von Unternehmen? NEIN, es liegt erst einmal an den handelnden Personen hier vor Ort und es ist fern ab von dem, was die Bundesrepublik groß gemacht hat – der Sozialen Marktwirtschaft – deren richtungsweisender Sinn darin liegt, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem Prinzip des sozialen Ausgleichs zu verbinden“ Ich kann diese angesprochene Gesetzgebung nicht ändern, aber ich kann diese Ungerechtigkeit artikulieren und direkt ansprechen – eine solche Verantwortungslosigkeit gegenüber den Menschen, dem Zusammenleben hier in der Stadt Willich äußern. Und ich möchte mehr – ich möchte mich nämlich mit diesen Damen, Herren, Firmen unterhalten und fragen, wieso sie keine Verantwortung gegenüber den Menschen, dem Zusammenleben hier in der Stadt Willich sehen, gegenüber den Menschen, die hier normal ihre Steuern bezahlen. Daher werde ich mich bei diesen einladen und sie alle – die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Willich – darüber informieren, was man mir dort sagte oder ob man mir einfach die Türe vor der Nase zugeschlagen hat. Wenn jetzt in vielen Köpfen der Satz zirkuliert: „Herr Gather, was wollen Sie denn mit diesen Menschen über moralische und soziale Verpflichtungen sprechen, es geht doch dort nur ums Geldverdienen“, dann zeigt dies erst recht, dass wir unsere Leitlinie der Sozialen Marktwirtschaft verloren haben. Es gilt diese in 2017 wieder aufzunehmen, damit auch hier in Willich wieder mehr Menschen das Gefühl bekommen, dieser Staat möchte gerecht sein. Wir werden die Menschen erst wieder von unserer Gesellschaft überzeugen und sie mitnehmen, wenn sie sehen, dass wir alle bemüht sind – auch vor Ort – ein gerechtes Zusammenleben einzufordern, umzusetzen und uns direkt dafür einzusetzen. Lassen sie uns handeln, denn diese Art wirtschaftlichen Denkens gefährdet unsere Demokratie, gefährdet unsere offene Gesellschaft – auch hier in Willich.
Als letztes möchte ich noch betonen, dass dies nicht das Allheilmittel sein wird, unsere finanziellen Probleme in der Stadt zu lösen. Es müssen neue Lösungen her und kein Festhalten an alte Lösungswege! Die Zeiten sind vorbei, dass man durch neue Gewerbegebiete signifikante Mehreinnahmen verbuchte – auch wenn ich das Gefühl habe, dass manche nicht mehr Willens sind diese alten Wege loszulassen – ja, kreatives Neudenken rigoros abgelehnt wird! Es waren die Wege der 90er und 00er Jahre. Es gilt neue Wege in Verwaltung und Politik zu finden – dies wird für alle Beteiligten die große Aufgabe dieses Jahres 2017 sein.