Meine sehr verehrten Damen und Herren,
um in den Wirren und Wogen des Alltäglichen in der Politik sich selbst nicht zu verlieren, benötigt man Grundfest Werte und Normen aus denen heraus man dann persönliche Handlungsanleitungen ableitet.
Jeder Politiker sollte sich dessen bewusst sein, um nicht Spielball des alltäglichen Geschehens oder Spielball der Anderen zu werden.
Hilfe können uns dabei Vorbilder geben! Eines dieser Vorbilder für mich – und für viele Deutschen – war und ist der im letzten Jahr verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt. In seinem letzten Buch „Was ich noch sagen wollte“ warnte er – das Vorbild für viele – aber selber vor dem Begriff, so wie wir Deutschen ihn oft benutzen, denn „… die Bedeutung des Wortes und seiner Verwendung [haben] stark voneinander abweichende, unterschiedliche Auffassungen. Die einen sprechen von Idolen oder Idealen, andere nennen ihre Vorbilder Wegweiser oder gar Lebenslotsen. Das klingt alles sehr pathetisch.“
Damit meint er fortführend, dass wir Deutsche zu einem schwarz-weiß Bild in Bezug auf unsere Vorbilder neigen – ihnen oft die menschliche Seite mit ihren Schwächen absprechen wollen. Aber auch dies gehört zum Mensch sein.
Eines meiner anderen Vorbilder – und dies sage ich immer wieder gerne – war der mutige Mahatma Gandhi. Der oft unterschätze Mann wehrte sich immer wieder dagegen, dass man seine Art der Politik „passiver Widerstand“ nannte. Dabei war seine Art der Politik alles andere als passiv. Satyagraha ist die Liebe zur Wahrheit betont durch Stärke, d.h. mit Offenheit jede Wahrheit auszusprechen und kein Tabu dabei zu kennen. Denn „…Festigkeit und Mut sind Eigenschaften, die immer Eindruck machen, sogar auf den Gegner!“ Das sollte auch hier in unserer Stadt unsere Richtschnur sein!
In seiner Haushaltsrede am 17.12 2015 hat Bernd-Dieter Röhrscheid davon gesprochen, dass wir eine Globalisierung des städtischen Haushalts haben – genau dies sehe ich als Kerngedanken unserer Zeit. Wer heutzutage noch glaubt, wir könnten Kommunalpolitik machen ohne die weltpolitische Lage im Blick zu haben, der ist naiv.
Der berühmte Sack Reis in China – den früher niemand interessierte, wenn er umkippte – kann der Sack Reis sein, der irgendwo fehlt und Hunger und Not auslöst, Flucht und Vertreibung, Neid und Habsucht. Und so kommt die angestoßene Welt zu uns – in Form von Terror, Angst, vor allem Flucht durch Vertreibung und Not. Was wir oft draußen vor lassen ist, dass viele dieser Konflikte dieser Welt ursprünglich auch von uns mit angestoßen wurden und werden. Wir vergessen, dass wir immer mehr Waffen und Rüstungsgüter verkaufen und dass die ethnischen Probleme vieler Ortens in Asien und Afrika das Resultat einer jahrhundertelanger verfehlter Kolonial- und Einmischungspolitik der Staaten Europas war und ist.
Das Ergebnis haben wir in Form der vielen Flüchtlinge im letzten Jahr direkt vor uns erlebt und ich möchte an dieser Stelle allen Ehrenämtern, wie z.B. im AKF und in der Initiative LOT für ihren Rieseneinsatz danken.
Aber, der Dank muss viel umfassender sein! Ganz deutlich möchte ich mich bei den Mitarbeitern der Stadt bedanken, die – neben ihren „normalen“ Tätigkeiten – diese Mamutaufgabe bewältigt haben!
Mein letzter Dank geht an ALLE Politiker, die schnell wichtige und mutige Entscheidungen getroffenen haben und – zumindest deutlich die meisten – sich nicht von Stammtischparolen, Drohungen und Schmähungen beeinflussen ließen.
Aber meine Damen und Herren – das müssen wir sehen, dass es auch in unserer Stadt Willich diese Drohungen gegen Politiker der demokratischen Parteien gibt, rechte Stimmung im Kostüm des Biedermanns als besorgter Bürger um die Ecke kommt und sich als „das Volk“ präsentieren will! Und ich fordere daher alle gesellschaftlichen Gruppierungen – alle Parteien, Sportvereine, die Schützen und Feuerwehren, alle kulturtreibenden Vereine dazu auf – in ihren Reihen dies direkt anzusprechen, antidemokratisches Gedankengut und Ansätze von Volksverhetzung nicht zu zulassen. Auch, wenn es sich im Deckmantel eines angeblichen „Scherzes“ präsentiert. Auch die widerwärtigen Vorfälle in der Silvesternacht in Köln, dürfen nicht Alibi für ethnische Vorurteile und pauschalen Fremdenhass sein.
In den letzten anderthalb Monaten habe ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Lehrer der Sekundarstufe I hier in Willich in kleinen Gruppen mit zusammengerechnet ca. 500 Schülern und Schülerinnen über die Situation der Flüchtlinge unserer Stadt und den geplanten Maßnahmen gesprochen und diskutiert. Viele unserer Kinder und Jugendlichen zeigten sich dabei oft offen, hilfsbereit und an Fakten interessiert, was ich mir bei den Diskussionen mit manchem erwachsen Vertreter einiger Bürgerinitiativen betroffener Standorte für die zukünftigen Asylbewerberunterkünfte, oft gewünscht hätte. Jedoch war auch zeitweise der Kenntnisstand der Kinder und Jugendlichen desaströs. Es war oft ein Mix von Un- und Halbwissen, Parolen und kommunaler Geschichtsverdrehungen – so z.B. dass unser Krankenhaus wegen der Flüchtlinge geschlossen worden wäre oder dass durch die Flüchtlinge zukünftig die Kriminalität in Schiefbahn und Neersen zunehmen würde.
Meine Damen und Herren, so etwas erfinden nicht Kinder! Dies sind Darstellungen und Meinungen, die sie ungefiltert von ihrer erwachsenen Umgebung annehmen. Alle, die solche Dinge in die Welt hinausprusten – sei es im Vereinsleben, wenn erzählt wird, dass durch Flüchtlinge das Miteinander zukünftig nie mehr gegeben würde oder in den sozialen Netzwerken, wenn rechte Nachbarn mal eben behaupten, man dürfe in unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht mehr die Meinung sagen – [Was totaler Quatsch ist, denn, sagen darf man alles. Man muss bei einer wehrhaften Demokratie wohl damit rechnen, dass es einige gibt, die diese auch verteidigen.] – alle jene müssen sich klar darüber sein, was dies für das zukünftige Zusammenleben in unserer Stadt bedeutet! Wer dies trotzdem tut, muss sich den Vorwurf gefallen lassen Angst und Misstrauen in unsere Kinder einzupflanzen! Unsere Kinder sollten aber ein Recht auf eine angstfreie Kindheit und auf ehrliche Erklärungen haben! Wer ihnen Angst macht – Feuer schürt, Vorurteile schürt – der gefährdet leichtfertig das friedliche Miteinander in unserer Stadt. Und – meine Damen und Herren – dies machen einige bewusst, um durch diese Türe die AfD und ähnliches Denken auch in unserer Stadt hineinzulassen. Es gilt also daher für uns alle dagegen zu halten!
Aber lassen wir uns mehr Wahrheiten einstehen: Willich geht es gegenüber anderen Städten in Deutschland wirtschaftlich gut, aber in ganz Deutschland sprudeln die Steuereinahmen – dies war im letzten Jahr in Willich (wie auch öfter in den Jahren zuvor) nicht der Fall. Es gilt also endlich unseren Gewerbemix in den Gewerbegebieten zu untersuchen – uns kritisch zu hinterfragen, was können und müssen wir anders machen. Die Ausgabeseite bearbeiten wir jährlich – ja eigentlich monatlich – intensiv, es gilt die Einnahmeseite endlich kritisch zu hinterfragen!
Mehr Wahrheiten: Es gab in der Geschichte der Stadt Willich keine transparentere und durch Bürgerbeteiligung begleitete Entscheidung als die Neugestaltung des Willicher Marktplatzes. Ich kann mir – ohne die parlamentarische Demokratie handlungsunfähig zu machen – auch nicht vorstellen, wie man dies noch toppen könnte, da jeder Bürger und jede Bürgerin sich hier im Vorfeld einbringen konnte und mit ihnen gemeinsam dann die Entscheidung getroffen wurde. Aber dies scheint selbst bei einer solchen – unter intensiver Bürgerbeteiligung getroffenen Entscheidung – keinen Respekt bei denen auszulösen, die entweder dabei unterlegen waren oder sich mal wieder viel zu spät informiert hatten. Diesen Respekt nach einer Entscheidung sollte ein Demokrat aber haben! Wer diese Entscheidung dann angreift, will scheinbar für seine Zwecke Demokratie ad absurdum führen.
Wer dann so handelt, schadet dem Gedanken von mehr Bürgerbeteiligung bei politischen Entscheidungen, da er Bürgerbeteiligung als Hemmschuh der Demokratie darstellt.
Wer dann so handelt, schadet dem Gedanken von mehr Bürgerbeteiligung bei politischen Entscheidungen, da er Bürgerbeteiligung als ökonomische und ökologische Naivität darstellt. D.h., wer dann so handelt, schadet dem Gedanken von mehr Bürgerbeteiligung bei politischen Entscheidungen!
Wer dann so handelt, dem kann man nur ein „NEIN“ bei der kommenden Befragung entgegenhalten!
Weitere Wahrheiten: Wir Politiker müssen uns an die Spielregeln halten, die auch diese Demokratie vor Ort verlangt und die wir auch von anderen einfordern. Dies darf nicht nur hohles Gerede sein. Wer sich nicht daran hält, der schadet dem Ansehen der Politiker und auch der Stadt!
Im Konkreten: Durch die Vielzahl an Möglichkeiten heutzutage seine Meinungen zu verbreiten, steigt auch das Angebot an Medien, die uns Politiker begleiten und kommentieren. Dies ist grundsätzlich sehr gut – wir brauchen immer wieder eine freie und unabhängige Presse, die genau hinschaut, was die Mächtigen in Politik und Finanz tun.
Die freie Presse muss immer frei und unabhängig sein! Die Politik muss sich hier heraushalten! Alles andere pervertiert den Gedanken einer unabhängigen Berichterstattung jenseits von Parteibüchern und versteckter Propaganda – es pervertiert den Gedanken einer Berichterstattung ohne politisch-taktische Hintergedanken!
Versuchen wir Politiker also nicht, durch die Hintertür das Denken in den Köpfen unserer Mitbürger heimlich zu beeinflussen.
Wir alle sind in Parteien eingetreten, weil sie sich schwerpunktmäßig für bestimmt Werte einsetzen – dann zu behaupten, man würde wertneutral berichten, wäre geheuchelt! Aktive Politiker sollten sich nicht gleichzeitig als Journalisten oder Redakteure versuchen! Es gleicht dem Versuch einiger Arbeitgeber vor einigen Jahren eigene Gewerkschaften zu gründen und somit den Gedanken einer freien Artikulation von Arbeitnehmerinteressen ad absurdum zu führen.
Noch eine Wahrheit: „Nach Faschismus und Kommunismus gab es viele Jahrzehnte lang den gemeinsamen Wunsch nach etwas Besserem. Das war Europa. Wenn sie aber heute ein junger Spanier oder Italiener oder Grieche sind, ist es genau umgekehrt: „Früher war es besser, jetzt sind wir arbeitslos. Daran ist Europa schuld…“ so der Oxfordprofessor Timothy Garton Ash. Hier gilt es gegenzusteuern – in dem wir Europa mit prägen. Die Antwort auf all diese Fragen darf nicht Nationalismus sein – wie wir es in Polen oder auch etwas in Frankreich sehen oder auch scheinbar in Bayern.
Konkret: Im kommenden Jahr feiern wir die 50jährige Partnerschaft mit unserer Partnerstadt Linselles in Frankreich. Diese gilt es zu pflegen und mit mehr Leben auszustatten. Darüber hinaus muss mit hoher Priorität auf unserer Agenda stehen, dass wir eine Partnerschaft mit Smiltene in Lettland unter Dach und Fach bringen!
Wir alle wissen und ahnen, dass das Jahr 2016 kein leichtes Jahr wird – es hat ja auch schon nicht leicht begonnen. Aber es gilt nicht hektisch oder gar panisch zu reagieren oder immer wieder den Untergang unserer Gesellschaft schon zu propagieren. Halten wir uns wieder an unserer Vorbilder. Noch ein großer Deutscher – ein Vorbild – ist im letzten Jahr verstorbenen: Unser ehemaliger Bundespräsident Richard von Weizsäcker.
Greifen wir in diesen wirren Zeiten nach seinen Worten: „Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Haß gegen andere Menschen…gegen Schwarz oder gegen Weiß. Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander. Lassen Sie auch uns als demokratisch gewählte Politiker dies immer wieder beherzigen und ein Beispiel geben. Ehren wir die Freiheit. Arbeiten wir für den Frieden. Halten wir uns an das Recht. Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.“
Lassen sie mich noch ergänzen: Diese Gerechtigkeit und dieses Recht dürfen wir nicht unter dem Druck der Zeit beugen, ändern oder gar aufgeben! Ihnen allen ein gutes und gesegnetes Jahr 2016!